Venezianischen Renaissance-Antiqua
Die Klasse 1 der Schriftenklassifizierung nach DIN 16518 'Venezianischen Renaissance-Antiqua' fasst Schriften aus der Frühzeit der Druckkunst (etwa 1465 bis 1530) zusammen.
Die Renaissance-Antiqua ist schriftgeschichtlich die erste Antiqua, die sich aus Groß- und Kleinbuchstaben zusammensetzt.
Der Begriff Antiqua
Der Begriff 'Antiqua' grenzt die Schriftklasse sachlich, 'venezianisch' räumlich und 'Renaissance' zeitlich ein.
Die Bezeichnung Antiqua charakterisiert allgemein eine Schrift mit 'alten', auf römischen Mustern basierenden, runden Buchstabenformen. Damit steht der Begriff im Gegensatz zu den 'modernen', gotisch-gebrochenen Buchstabenformen sowie den Groteskschriften unserer Tage.
Für die Dauer der kulturhistorischen Epoche der Renaissance in Norditalien gilt allgemein der Zeitraum zwischen 1420 und 1540. Mit Blick auf die Schriftentwicklung ist die Zeit ab Bekanntwerden des Drucks mit beweglichen (wiederverwendbaren) Lettern nach Gutenberg in Italien, also die Jahre ab 1465 (erste Druckerei in Italien) gemeint.
'Venezianisch' spiegelt die Herkunft aus der Stadt Venedig wieder, die im Zeitalter der Renaissance, vornehmlich durch Zuwanderung, zu einem der ersten und führenden Zentren der Schriftkunst aufsteigt. Allgemein gilt Venedig seit 1469 als Druckstandort.
Geschichtliche Entwicklung
Als schrifthistorisch erste Antiqua gilt die 1465 im Benediktinerkloster Subiaco (Provinz Rom) für den Druck der 'Epistulae familiares' des römischen Philosophen Cicero genutzte Druckschrift. Diese Schrift besteht ausschließlich aus Kleinbuchstaben. Großbuchstaben werden zwar verwendet, kennzeichnen aber nur Absatzanfänge und haben keine orthografische Bedeutung.
Die eigentliche Venezianische Renaissance-Antiqua entwickelt sich ab 1468 durch die Arbeit von Wendelin de Spira ('aus Speyer') aus der Benediktinerschrift. Der französische Schriftgießer Nicolas Jenson (1420 - 1480) vollendet diese Schrift in Venedig zur 'litterae Venetae'. Die Jenson-Antiqua gilt im Schrifttum als die erste voll ausgebildete Antiqua.
Aus dieser Zeit sind kaum Originalschriften vorhanden. Die bekanntesten Schriftkünstler sind Nicolas Jenson und Aldus Manutius.
Formprinzip
Die Formgebung der Lettern ergibt sich aus dem Schriftbild der Breitfeder, die beim Schreiben schräg angesetzt wird und damit ein charakteristisches Strichbild liefert. Zu den Breitfeder-Schriftmerkmalen zählen die Schrägstellung des e-Strichs, schräg angesetzte obere Serifen und abgerundete Serifenenden.
Als direkte Folge des Federdrucks ist den Venezianischen Antiquas ein spannungsvolles, lebhaftes, harmonisches und leichtes Schriftbild zu eigen.
Die Kursiven werden allgemein als separate Schrift entwickelt und sind nicht aus der Regulärschrift abgeleitet. Die Schriften dieser Klasse verfügen üblicherweise über keinen Fettschnitt (oder dieser wird erst wesentlich später zugefügt).
Die Großbuchstaben orientieren sich stark an der römischen Capitalis, die Kleinbuchstaben gehen in direkter Abstammung auf die humanistische Minuskelschrift zurück - angeblich waren die venezianischen Schriftmeister der fälschlichen Ansicht, es handle sich bei der Karolingerschrift um ein antikes Schriftmuster.
Merkmale der Venezianischen Renaissance-Antiqua
- kräftig ausgeprägte Serifen
- schräg ansetzten obere Serifen
- nach links geneigte Schattenachse
- (oft) abgerundete Serifenenden
- (zumeist) schräg liegender Querstrich des e
- (zumeist) geringe Strichstärkenunterschiede
- (relativ) geringe Kleinbuchstabenhöhen
- (relativ) große Ober- und Unterlängen (Oberlängen oft über Versalienhöhe)
Schriftbeispiele der Venezianischen Renaissance-Antiqua
- Jenson (um 1470)
- Centaur (Jenson-Variante; Rogers, 1914)
- Kennerly Old Style (Goudy, 1911/20)
- Schneidler (Schneidler, 1936)
- Californian/Berkeley Old Style (Goudy, 1938)
- Weidemann (Weidemann, 1979 als Biblica)
- Giovanni (Slimbach, 1989)
Ferner: Bembo, Deepdene, Guardi, Hadriano, Horley Old Style, Italia, Italian Old Style, Legacy Serif, Seneca, Tiffany, Trajanus/Trajan.