Schriftportrait Jenson
Die Schönheitskönigin. Manche Schriften leben kurz, heftig und werden schnell vergessen. Andere Schriften leben ewig, ohne dass ihre Schönheit, ihre Anmut verblasst. Nur sehr wenigen Schriften gelingt es, uns durch die Jahrhunderte ein bezauberndes Lächeln zu senden - Reminiszenz an die Genialität ihres Schöpfers. Robert Slimbachs Jenson ist so eine Schrift.
Der Wirtschaftsspion
Der französische Schriftschneider Nicolas Jenson entwickelt sich im Laufe seiner Karriere vom Wirtschaftsspion zu einem der einflussreichsten Druckmeister der Renaissance und der lateinischen Schriftgeschichte überhaupt.
Er wird zu Beginn seiner Schriftschneiderkarriere vom französischen König mit dem Auftrag nach Mainz geschickt, bei Gutenberg oder einem anderen der dortigen Druckmeister das Druckverfahren mit beweglichen Lettern (die 'Deutsche Kunst'), zu lernen und sein Wissen nach zurück Frankreich zu bringen.
Jenson, Druckmeister von Venedig
Jenson kehrt nach einem Machtwechsel in Frankreich jedoch nicht mehr in seine Heimat zurück - der neue König ist auf Günstlinge des alten Königs nicht sehr gut zu sprechen. Stattdessen lässt er sich in Venedig nieder und eröffnet eine eigene Druckerei. Die Druckwerke, die er hier in den Jahren nach 1470 schafft, gelten auch heute noch als Inbegriff des meisterlichen Druckerhandwerks.
Seine Schriftschöpfungen legen den Grundstein zu der typografischen Entwicklung, die das Druck- und das Schriftbild der kommenden Jahrhunderte bestimmen wird.
"Dem Auge förderlich ..."
Bereits eine 1482 erschienene Werbung für den 15-bändigen "Praeparatio evangelica" des Eusebius bescheinigt Jensons Schrift:
dass sie dem Auge nicht hinderlich, sondern ihm förderlich sey. Des übrigen seyen die Lettern mit solch Sorgfalt und Intelligenz gemachet, dass sie nicht kleiner noch grösser noch dicker erscheynen als die Vernunft gebietet.
Die Jenson-Schriften erreichen schon zu Lebzeiten des Meisters große Verbreitung und werden in zahllosen Druckereien nachgeschnitten. Insbesondere die Jenson-Antiqua gilt als Inbegriff der Venezianischen Renaissance-Antiqua und blickt seit ihrem Entstehen im späten 15. Jahrhundert auf eine lange Tradition der Neuinterpretation und Nachahmung zurück.
Die Neuauflage der Jenson
In dieser Tradition steht auch die Arbeit von Robert Slimbach an der Schrift, die heute Jensons Namen trägt. Er nimmt 1995 für die Schriftenreihe Adobe Originals, die sich der Wiederherstellung klassischer Schriften verschrieben hat, die Arbeiten zu einer Digitalfassung der Jenson-Schrift auf.
Die von Robert Slimbach gezeichnete Jenson orientiert sich stark an der klassischen Antiqua von Nicholas Jenson. Diese um 1470 entstandene Schrift wird vielfach als die schönste, perfekteste und ausgewogenste Antiqua römischen Vorbilds aller Zeiten gepriesen.
Schwierige Grundlagenforschung
Da Slimbach keine Originallettern oder -matrizen aus Jensons Werkstatt zur Verfügung stehen, verbringt er viel Zeit mit Jenson-Originaldrucken. Es geht darum, um den Formenreichtum der Jenson-Schriften möglichst genau zu dokumentieren.
Die Jenson zur Verfügung stehende Drucktechnik erzeugt einzigartige Drucke, da die Farbverteilung im Druckvorgang stets ein wenig unregelmäßig erfolgt und die Schriftwiedergabe bei zunehmender Abnutzung der Typen ein leicht abweichendes Schriftbild hervorbringt.
Kursivschrift: Arrighi
Da Jensons Originale allerdings keine Kursiven enthalten, vervollständigt Slimbach seine Jenson-Adaption durch eine von dem italienischen Renaissance-Schriftmeister Ludovico degli Arrighi entwickelte Kursive.
Beide Schriften harmonieren sehr gut miteinander, sodass die von Adobe vorgelegte Jenson-Interpretation Slimbachs als gelungener Versuch zum Einfangen des Geistes der Jenson-Schrift und Anpassung an die heutigen Ansprüche an eine professionelle Satzschrift gewertet werden kann.
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