Schriftportrait Walbaum
Die deutsche Schönheit. Offenheit, Eleganz und Großzügigkeit sind keine der Tugenden, die oft mit der teutonischen Volksseele in Verbindung gebracht werden. Und doch sind es genau diese Attribute, die die Walbaum Antiqua zur Deutschen unter den Klassizistischen Antiquas werden lassen.
Die schöne Klassizistische
Als eine der bedeutendsten und schönsten klassizistischen Antiquas entsteht im Jahr 1800 aus der Hand von Justus Erich Walbaum die Walbaum Antiqua.
Walbaum bereichert mit seiner Schöpfung die Linie der deutschen Antiquas des Klassizismus, deren Entwicklung durch den Napoleonismus und die gegen die französische Besatzung gerichtete Befreiungsbewegung eine jähes Ende findet.
In ihrer Entstehungszeit ist die Walbaum Antiqua eine dem Zeitgeschmack entsprechende Schrift, die in ihren Qualitäten der französischen Didot und der italienischen Bodoni nicht nachsteht und sie in vielerlei Hinsicht sogar übertrifft.
Die 'menschliche' Didone
Sie zeigt im Unterschied zu den in Frankreich und Italien in dieser Epoche geschaffenen Schriften eine untypisch-deutsche, 'unteutonische' Leichtigkeit, eine Anmut und Grazie, deren Ursprung man eher in südlichen Gefilden vermuten würde.
Auch Kunsthistoriker sehen die Walbaum - im Gegensatz zu Didot und Bodoni, die als Schriften der Französischen Revolution gesehen werden - als deutsche Interpretation der klassizistischen Antiqua.
Als solche gilt sie als 'humanste' Interpretation der klassizistischen Schriftformensprache, die einen Teil ihres Charmes, ihrer Weichheit und ihrer guten Lesbarkeit aus der Nichtbeachtung der strengen, klassizistischen Formregeln bezieht.
'Besatzerschrift'
Ungeachtet dieser Qualitäten gerät sie in das Räderwerk der zeitgenössischen Politik. Da die Antiquas von den einrückenden Franzosen unter Napoleon verwendetet werden, gelten sie in Deutschland als 'Besatzerschriften', die sich deutlich von den volkstümlichen Frakturschriften, die in deutschen Landen vertraut und verbreitet sind, abheben.
Zwar sind auch im deutschen Schrifttum Antiquas nicht unbekannt, im Allgemeinen aber auf höherwertige Druckwerke beschränkt.
Gebot der Vaterlandsliebe
Viele Deutsche, darunter natürlich auch Drucker und Verleger, kämpfen als Soldaten gegen die Franzosen und verfügen über ein gefestigtes Feindbild. Die von den französischen Besatzern gegen deutsche Widerständler verhängten Repressalien tragen ebenso zur Versteifung des Widerstandes weiterer Bevölkerungskreise gegen alles Französische bei.
So wenden sich die deutschen Drucker wieder den so typisch deutschen Frakturschriften zu, deren Verwendung ohnehin der herrschenden Auffassung zufolge ein Gebot der Vaterlandsliebe ist. Durch diese Umstände gerät die Walbaum Antiqua im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit.
Aus dem Dornröschenschlaf
Erst der Drucker und Buchgestalter Jakob Hegener entdeckt die originalen Walbaum-Matrizen 1919 im Fundus der Brockhaus GmbH wieder. Sie waren durch den Verkauf von Walbaums Schriftgießerei an Brockhaus im Jahr 1836 dorthin gekommen.
Die Berthold AG übernimmt die Walbaum Antiqua, nachdem Hegener sie für eine Reihe eigener Druckprojekte verwendet und damit für Aufsehen gesorgt hatte. Die Walbaum genießt durch die Verkaufsaktivitäten der Berthold AG hohe Verbreitung und ist für alle gängigen Setzmaschinen verfügbar.
Walbaum heute
In unseren Tagen erfährt die Walbaum Überarbeitungen durch die Berthold AG und durch Monotype, in deren Verlauf sie um einige Schnitte erweitert wird.
Heute wie im 19. Jahrhundert ist die Walbaum Antiqua immer noch ein kleines Schmuckstück, das vielfach unbeachtet im Schriftbestand so manches Setzers schlummert, und das so viel mehr kann, als den dumpfen sechsspaltigen Blocksatz, zu dem sie in unserer Schriftlandschaft leider geknechtet wird.
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