Schriftportrait Corporate
Corporate, die Wirtschaftliche. Für manche 'Sternstunde der Typografie', für andere schlicht das Getriebe der Unternehmenskommunikation. Drei Schriften für einen schwäbischen Weltkonzern: Klassisch, technisch, sachlich - und unter der Haube steckt das gesammelte Können von Kurt Weidemann.


Schriftentwickler Kurt Weidemann
Die 'Sternstunde' der Typografie
Die drei Corporate-Schriften - Corporate A, Corporate E, Corporate S, zusammenfassend oft als 'Corporate ASE' bezeichnet - bilden gemeinsam ein Schriftsystem, das von Kurt Weidemann in den Jahren 1985 bis 1990 als Hausschrift für die Mercedes-Benz AG entwickelt wird.


Die Buchstabenkodierung der Schriftbezeichnungen leitet sich von der Art der jeweiligen Schrift ab: Weidemann schafft auf gemeinsamer Grundlage eine Serifenschrift (Corporate A), eine Serifenbetonte (Corporate E) und eine Serifenlose (Corporate S).
Der Name ist mit Bedacht gewählt. Dem Wortsinn nach bezeichnet 'corporate' das Gemeinsame, das Vereinigte. Gleichzeitig steht es im Zentrum der 'Corporate Identity' genannten Selbstdarstellung eines Unternehmens.
Kurt Weidemanns erhält den Auftrag zur Schaffung der Corporate-Schriften im Vorfeld einer umfassenden Überarbeitung der Eigendarstellung von Mercedes-Benz. Neben den Hausschriften werden der Stern und das gesamte Erscheinungsbild des Unternehmens, vom Notizblock bis zur Leuchtbeschriftung der Fertigungswerke, neu gestaltet.


Die Aufgabe: drei Schriften für den Stern
Entwurfsvorgabe für Weidemann ist, dass die zu schaffende Schriftsippe über die genannten drei Schrifttypen verfügen soll. Gleichzeitig sollen die Schriften ein hohes Maß an Gemeinsamkeit und darüber hinaus einen hohen Wiedererkennungswert besitzen.
Die Schriften sollen neutral, ausgewogen und ökonomisch daherkommen und kompromisslos lesbar sein. Dabei muss Weidemann das breite Spektrum der späteren Anwendung der Schriften berücksichtigen: Sie sollen in unterschiedlichen Größen - von Beipackzettelgröße bis zu mannshohen Lettern - auf unterschiedlichsten Ausgabegeräten - vom Bürolaserdrucker bis zur Leuchtreklame - und aus unterschiedlichen Entfernungen - von Leseentfernung bis zu mehreren Kilometern bei Werksbeschriftungen - wahrnehmbar, erkennbar und lesbar sein.



Eins greift ins andere: eineiige Drillinge
Damit liegt die Messlatte natürlich ziemlich hoch: Mercedes-Benz, nach eigenem Bekunden Erfinder des Automobils und nach Auffassung von Branchenkennern eine der stärksten Marken der Welt, sucht als Ergänzung zu dem weithin bekannten Dreizackstern eine Schrift, die die dem Unternehmen beigegebenen Eigenschaften - klassisch, technisch, sachlich - transportiert und sichtbar macht.
Weidemann investiert schließlich volle fünf Jahre in die Entwicklung der Mercedes-Schriften. Am Ende steht ein dreigliedriges Schriftsystem, das allen Anforderungen gerecht wird. Weidemann nennt die drei Corporate-Schriften seine 'eineiigen Drillinge'.
In einem Interview sagt er später, dass ihm bei der Entwicklung der Corporate immer die drei Grundformen der klassisch-griechischen Säulen vor Augen standen: dorisch, ionisch und korinthisch.
Den Kritikern seiner Schriften hält er entgegen:
Ich habe eine Hausschrift geschaffen, keine Romanschrift.
Kurt Weidemann


Das Mittel zum Zweck: korporativ
Die drei Corporate-Schriften verfügen über identische Zeichen-Grundformen, gleiche Proportionen und (in etwa) gleiche Dickten und Laufweiten, sodass sie untereinander auch in der Hand weniger versierter Setzer kombinierbar und austauschbar sind.
Damit dienen sie einem einzigen, übergreifenden Zweck: Sie sind das Kernstück der Unternehmenskommunikation von Mercedes-Benz, nach innen wie nach außen. Jeder Werbespot, jede Anzeige, jede Broschüre, jedes Schreiben der Mercedes-Benz AG wird nach ganz bestimmten Formvorschriften in einer der drei Weidemann-Schriften gesetzt.


Drei sind eins
In der Schriftentriade spiegelt sich das besondere Verhältnis wieder, das Mercedes-Benz zur Zahl Drei pflegt: Der dreizackige Mercedes-Stern, ehemals Symbol für die Motorisierung zu Lande, zu Wasser und in der Luft, übersetzt sich in unserer Zeit zum begrifflichen Dreierlei klassisch - technisch - sachlich. Und genau hier setzt Weidemanns Schriftschöpfung an.
Mit der Serifenschrift Corporate A schlägt Mercedes-Benz gleich drei Fliegen mit einer Klappe.
- Einsatz einer Serifenschrift als führender Verkehrsschriftvariante der westlichen Welt (dem traditionellen Hauptabsatzgebiet).
- Die Verwendung einer Antiqua (als althergebrachte Schriftform) versinnbildlicht die Tradition, auf die das Unternehmen aufbaut.
- Die Nutzung einer typischen Barock-Antiqua (zu deren Kennzeichen ja die systematische Konstruktion der einzelnen Lettern zählt) symbolisiert die Konstruktion, mithin das Produktdesign, das ja der Zweck des Unternehmens ist.


Ähnliches gilt auch für die anderen beiden Corporate-Varianten: die Corporate E, die mit ihren stark betonten Serifen eine technische Anmutung besitzt und von Mercedes-Benz auch vornehmlich als Auszeichnungsschrift im ingenieurstechnischen Bereich eingesetzt wird. Und die Corporate S, die Serifenlose, schließlich verfügt über die sachliche Anmutung, die allen Serifenlosen gemein ist und sie wird vornehmlich in solchen Zusammenhängen verwendet.
Allen drei Corporate-Schriften ist gemeinsam, dass sie betont schmal laufen. Damit bürgen sie für einen wirtschaftlichen Einsatz - viel Text auf wenig Raum -, ohne dass die Lesbarkeit darunter nennenswert leidet.


Corporate in der Praxis
Unglücklicherweise wird Weidemanns Qualitätsprodukt in der Werbemittelherstellung nicht so gut behandelt, wie man es von einem Korporationsprodukt schwäbischer Wertarbeit eigentlich erwarten dürfte. So ist im Regelwerk von Mercedes-Benz über Nutzung und Einsatz der Corporate die Forderung enthalten, in Corporate A zu setzende Überschriften auf 80% ihrer ursprünglichen Laufweite (die ja ohnehin schon schmal ist) zusammenzustauchen.
Dies ist eine Vorgehensweise, die jedem Typografen das Grausen über den Rücken jagt. Erstens wird diese Stauchung dem Charakter der Schrift, die ja ohnehin recht schmal läuft, nicht gerecht und zweitens wird dieser 'Schriftsatz mit der Axt' jedem angehenden Schriftsetzer schon im ersten Lehrjahr ausgetrieben.


Die Lizenz zum Schreiben
Die Corporate-Schriften sind zunächst als Hausschriften des Daimler-Benz-Konzerns gedacht und stehen, da nicht lizenziert, in den ersten Jahren nach Erscheinen nur zu diesem Zweck zur Verfügung. Sie werden ab 1990 durch das Schriftenhaus URW für die Nutzung im Computersatz aufbereitet und digitalisiert. Danach stehen sie ausschließlich autorisierten Zulieferern von Mercedes-Benz zur Nutzung in festgelegten Bereichen zur Verfügung. Ab 1998 schließlich können auch kommerzielle Anwender unabhängig von Mercedes-Benz die drei Corporates beziehen.
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