Schriftportrait Avant Garde

Die Missbrauchte. Leicht ist sie nicht, die Avant Garde, höchstens leicht, sehr leicht falsch anzuwenden. Und dies geschieht gerne, oft und immer wieder. Rückblickend betrachtet erscheint ihre ganze Karriere, ihre Popularität, ihre häufige Nutzung ohnehin unverständlich. Denn gedacht - und gemacht - war sie für nur zwei Worte: Avant Garde.

Avantgarde - großgeschrieben

Ursprünglich werden die Großbuchstaben der späteren Schrift Avant Garde von Herb Lubalin für das gleichnamige Modemagazin gezeichnet. Die Zeitschrift Avant Garde erscheint, herausgegeben von Ralph Ginzburg, seit 1968 als progressives Lifestylemagazin.

Am Anfang zur Idee des Avant Garde-Logos steht die Vorstellung eines "von einem sauberen, europäischen Flugplatz in Richtung Zukunft startenden Flugzeugs" (Ginzburg) - diagonal nach oben. Diese Grundrichtung und die Designvorgabe, etwas zu schaffen, was noch "niemand niemals nicht" gesehen hat, führen schließlich zum Avant Garde-Logo und zur Schrift.

Die Säge am guten Geschmack

Allein die Erscheinungsform des Avant Garde-Logos ist ein Anschlag auf den guten Schriftsetzergeschmack: Ob Handsatz oder Maschinensatz, die Abstände zwischen den einzelnen Buchstaben liegen immer fest, sind durch die Schriftart bestimmt. Der Setzer kann zwar zusätzlichen Abstand zwischen Buchstaben geben, will er aber geringeren Abstand, muss er buchstäblich zur Säge greifen und seinen Typen Gewalt antun.

Und da kommt dieses Avant Garde-Logo daher, in dem die Buchstaben, noch dazu in einer beinahe anstößigen Schrift, aufeinander kleben und gar übereinander weglaufen. Spätere Fotosetzer können den Effekt erzielen, indem sie für die Buchstabenabstände negative Werte (!) codieren - auch dies ein beinahe gotteslästerliches Vorgehen, das bis dato ausgesprochen unüblich ist.

Die Unbenutzbare

Gerade dies ist das besondere Merkmal der Avant Garde: die Grenzverletzung. Keine andere Schrift spiegelt den Geist der 68er unverfälschter wider als die Avant Garde. Die Provokation, der Bruch mit dem Gewohnten und der Aufbruch zu neuen Ufern - verkörpert in einer Schrift, die gerade einmal ihren Namen fehlerfrei darstellen kann.

Denn dass es sich bei dieser Schrift eher um ein grafisches Experiment als um einen regelrechten Schriftentwurf handelt und dass die Avant Garde für den Schriftsatz nur bedingt taugt, für den Mengensatz geradezu unbrauchbar ist, hat Schriftsetzer - Amateure wie Profis - weder damals noch heute davon abgehalten, sie für jede nur erdenkliche Aufgabe einzusetzen.

Erfahrung Voraussetzung

Natürlich werden der Avant Garde schon bei ihrer Geburt Hypotheken auferlegt, die ihre Verwendung für allgemeine Satzaufgaben verbieten. Sie ist eine pur-geometrische Schrift und besteht ab Geburt nur aus Großbuchstaben, aus denen ein Ausdruck mit zwei Worten gesetzt werden soll. Diese Aufgabe erfüllt sie hervorragend - aber es sollte dabei belassen werden.

Schon die noch von Herb Lubalin selbst vorgenommene Erweiterung auf 26 Zeichen in ein Experiment, das auch nur deswegen zu einem halben Erfolg wird, weil er eine Unzahl von Ligaturen entwickelt, damit die einzelnen Buchstaben sich überhaupt zu Wortbildern zusammensetzen lassen.

Damit kommt eine weitere Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten hinzu: die Verwendung der Avant Garde im Satz setzt Erfahrung und typografisches Auge und Geschick voraus. So ist auch die moderne Avant Garde für den Computersatz das, was die Schrift schon immer war: Zierschrift für die Überschrift in Großbuchstaben. Für alles andere existieren bessere Lösungen.

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